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Das mazedonische Messer

Eine Kommissar Wengler Geschichte

ISBN 13-978-0-692-22219-5

Es ist Freitagabend im herbstlichen München. Ein Taxifahrer wird tot in einer Einfahrt gefunden und Kommissar Wengler muss sein Wochenwende verschieben, um diesen Mord aufzuklären. Es gibt mehrere Personen im Umfeld des Toten, die ein Motiv haben könnten. Aber wie es oft der Fall ist, wird alles immer komplizierter, je näher man sich der Lösung wähnt. Der Sohn des Toten scheint keine große Hilfe zu sein, im Gegenteil. Auch die neue Bekanntschaft des Opfers bringt nur noch mehr Unklarheiten. Man erzählt dem Kommissar Halbwahrheiten, aus denen er sich die richtigen und wichtigen Sequenzen selbst heraussuchen muss. Der einzig belegbare Beweis ist die Tatwaffe, ein mazedonisches Messer. Auch dieses mal muss er wieder in ein Umfeld eintauchen, das ihm bisher fremd war, um diesen Fall zum Abschluss zu bringen. 

Das mazedonische Messer

Eine Kommissar Wengler Geschichte

 

von

Olaf Maly

 

2013©Olaf Maly

 

 

Kapitel 1 (Auszug)

 

„Wagen 5412, bitte melden!“, rief Marianne Schnieder aus der Taxi-Zentrale über das Funknetz. Ihre Stimme klang ein bisschen aufgeregt, da sie schon seit mehreren Minuten versuchte, Thomas Marker in seinem Wagen zu erreichen.

„Wagen 5412, wo sind Sie denn? Wir wollen mit Ihnen reden, melden Sie sich doch mal. Thomas, bitte melden!“

Marianne hatte ein schlechtes Gefühl, ein sehr schlechtes Gefühl. Sie machte diese Arbeit nun schon seit über zwanzig Jahren und wusste immer, wenn etwas nicht in Ordnung war. Sie war zu lange dabei, als sich Illusionen zu machen. Irgendetwas stimmte nicht, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Es herrschte Totenstille auf der anderen Seite. Keiner nahm das Mikrofon, keiner drückte den Knopf, um Verbindung mit der Zentrale aufzunehmen, keiner schien Interesse an ihrem Ruf über den Äther zu haben. Niemand wollte mit Marianne sprechen und sie von ihren Angstvorstellungen erlösen, ihr endlich wieder die Ruhe zurückgeben, die sie bis vor Kurzem noch gehabt hatte.

Marianne Schnieder war Ende fünfzig. Jeder kannte sie, der irgendwann mal Taxi gefahren war. Ihre Stimme – zwischen Reibeisen und honigsüß, je nach Laune und mit wem sie sich unterhielt – war am Radio nicht zu verkennen. Sollte man aus irgendeinem Grund nicht gleich geantwortet haben, bekam man das sofort und unmissverständlich zu hören.

Wagen 5412 hatte vor mehr als zwanzig Minuten den stillen Knopf gedrückt, wie man ihn nannte, den Knopf, den niemand sah, außer man wusste, wo er war und was er zu bedeuten hatte. Den Geheimknopf, der davor schützen sollte, in unnötige Gefahr zu kommen. Wann immer ein Fahrer dachte, Wann immer ein Fahrer dachte, dass etwas Ungewöhnliches vor sich ging – was immer das auch sein sollte - drückte man den Knopf, um die Zentrale darauf aufmerksam zu machen, dass hier, in diesem Wagen, etwas los war. Die Zentrale wusste dann, dass man aufmerksam sein und hören sollte, was der Fahrer sagte, jedoch nichts sagen sollte, was die Situation verschärfen konnte. Der Sprechfunk war in diesem Moment permanent in Richtung Zentrale eingeschaltet, damit diese immer mithören konnte, was im Wagen gesprochen wurde.

Thomas Marker hatte den Knopf gedrückt, als er einen Passagier im Tal in München aufgenommen hatte, der ihm etwas suspekt vorkam. An der Ecke zum Viktualienmarkt, direkt an der Heiliggeistkirche. Nicht, dass der potenzielle Mitfahrer irgendwie schlecht aussah oder nicht gut gekleidet gewesen wäre. Nein, ganz und gar nicht. Thomas Marker hatte eben nur ein ungutes Gefühl. Er war auch nicht betrunken, jedenfalls nicht sichtbar betrunken, denn Marker nahm grundsätzlich keine Betrunkenen mit, auch wenn das Geschäft noch so schlecht gewesen sein sollte. Es kostete einfach zu viel an Zeit und Ärger. Und der Wagen stank für Tage, besonders im Sommer, wenn es heiß und schwül war. Es war zwar kein Sommer, sondern fast schon harter Winter, aber das war eine zu vernachlässigende Kleinigkeit. Erbrochenes im Wagen war nicht die beste Reklame und nichts, womit man gerne umgehen mochte.

Erst hatte Marker sich überlegt, ob er den Gast überhaupt aufnehmen sollte. Aber da das Geschäft den ganzen Tag über nichts als schlecht bis sehr schlecht gewesen war, warf er seine Bedenken ganz einfach mal über den Haufen.

Der Knopf also machte es für die Zentrale unter anderem auch möglich, den Wagen zu verfolgen und wenn nötig zu orten, damit die Polizei wusste, wo er war, sollte etwas passieren und es nötig werden einzugreifen.

Thomas Marker hatte den Knopf vor mehr als zwanzig Minuten gedrückt. Eine lange Zeit. Seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört. Keinen Ton.

„Zentrale an alle. Schalten Sie auf Kanal 4“, sagte nun in einigermaßen ruhigem Ton, so gut es eben ging, Marianne an alle Wagen über Kanal 2.

Kanal 4 war der Kanal, den nur die Taxifahrer benutzen konnten und auf dem man Meldungen durchgab, die für niemand anderen bestimmt waren, als eben die Gemeinschaft der Taxifahrer. Auch die Polizei konnte auf diesem Kanal mithören und wenn nötig eingreifen. Die anderen Kanäle waren für jedermann frei zugänglich und manche Leute, die nichts Besseres zu tun hatten, hörten sich den ganzen Tag über den Sprechfunk an.

„Wir haben einen vermissten Fahrer. Die Ortung sagt, dass der Wagen Ecke Einsteinstraße und Schlossstraße steht. Fahr doch mal einer dort hin und sag mir, was da los ist“, sagte Marianne mit einem leisen Vibrieren in ihrer Stimme, das nichts Gutes erahnen ließ.

Innerhalb weniger Minuten war die Einsteinstraße an der Ecke Schlossstraße ein regelrechter Parkplatz für Taxis in München und es kamen immer mehr. Ein Meer aus gelben Autos mit gelben Leuchtzeichen auf dem Dach und Reklameaufklebern auf Türen und Seitenteilen, die alles versprachen – von billigen Versicherungen über delikate Pizzas bis zu netten Stunden in aufregenden Etablissements.

„Wagen 2207 an Zentrale.“

„2207 kommen.“

„2207, ich bin hier an der Ecke Einsteinstraße und Schlossstraße und sehe den Wagen 5412. Der Wagen steht auf dem Bürgersteig, die Türen sind zu, aber nicht verschlossen, und der Fahrer ist nicht im Wagen. Ich gehe jetzt einfach mal dort hin und schaue nach, was los ist.“

Noch zahlreiche andere Wagen meldeten sich mit derselben Aussage und gingen dann los, um nachzusehen. Es war ein kalter Nachmittag, einer der Nachmittage in München, an denen man lieber zu Hause bleibt, sich einen heißen Grog macht und langsam vor dem Fernseher einschläft.

Die Welt um die Einsteinstraße dampfte von all den Wagen, die sich mit laufendem Motor abgestellt hatten. Auch die Menschen schienen zu dampfen und es sah aus, als würde leichter Nebel aufsteigen und dem Geschehen den besonderen Reiz des Unheimlichen geben. Bis auf die Geräusche der Motoren war alles ruhig, keiner sagte etwas, keiner wagte, sich laut zu bewegen. Ab und zu hörte man in der Ferne eine Straßenbahn um die Ecke fahren, einen Notarztwagen mit Sirene durch die Straßen rasen oder auch die Kirchturmuhr der Heiliggeistkirche schlagen. Ansonsten war es ruhig.

Horst Eitel war der Erste, der am Wagen 5412 war, die Fahrertür öffnete, das Mikrofon in die Hand nahm, auf Kanal 4 schaltete und mit Marianne Kontakt aufnahm.

„Eitel hier. Alles in Ordnung, nichts Außergewöhnliches. Jetzt schauen wir mal, was hier in der Gegend los ist. Vielleicht finden wir ihn ja. Ich kenne den Fahrer, hab ihn schon oft gesehen und mich mit ihm unterhalten. Also, sobald ich was weiß, melde ich mich wieder.“

Dann war wieder Ruhe. Inzwischen war auch ein Wagen der Polizei eingetroffen, was Routine war, wenn auf Kanal 4 gesprochen wurde.

„Dahinten! Dahinten! Jetzt kommt's doch a mal, wir haben ihn gefunden!“, kam es aufgeregt in tiefem Bayerisch aus der Einfahrt in Nummer 7 Schlossstraße.

„Ruf doch einmal jemand den Notarzt und beeilt's euch!“

Alle liefen in Richtung Schlossstraße Nummer 7. Die Nummer 7 konnte man nicht verfehlen, da sich dort in Kürze eine größere Menschenmenge angesammelt hatte und damit deutlich zeigte, wo sie war.

„Gehen Sie aus dem Weg, bitte! Polizei, bitte den Weg frei machen. Ja, jetzt haut's doch einmal ab hier und lasst's uns unsere Arbeit machen!“

Polizeiwachtmeister Franz Dobler war der erste offizielle Polizeibeamte, der den Tatort erreichte und versuchte, all die Menschen, die um Thomas Marker herumstanden, auseinanderzutreiben und sich Platz zu verschaffen.

„Jetzt geht’s doch mal auf die Seiten und lasst's uns unsere Arbeit machen“, sagte er immer wieder, in der vergeblichen Hoffnung, dass ihm die Leute zuhören und auch folgen würden.

Polizeiwachtmeister Dobler war inzwischen bei der Person, die am Boden lag, angekommen. Umständlich brachte er es fertig, in die Knie zu gehen, um zu versuchen, einen Pulsschlag an Thomas Marker zu lokalisieren, ein Lebenszeichen, das ihn aus seiner misslichen Lage befreien würde, einen Toten angefasst zu haben. Polizeiwachtmeister Dobler hatte absolut kein Verlangen danach, Tote anzufassen, weder Mensch noch Tier.

Thomas Marker war ein schlanker, mittelgroßer Mann in den frühen Sechzigern, mit schwarzen Haaren und einem schwarzen Bart. Die Haare und der Bart waren gefärbt, da er viel auf sich hielt und dachte, dass ein gepflegtes Aussehen das Leben für ihn etwas einfacher machte. Die letzte Reise hat es ihm nicht gedankt, dafür war es egal, wie er aussah. Denn Thomas Marker war tot. Daran bestand kein Zweifel. Jetzt lag er halb auf der Seite zwischen zwei Mülltonnen, als hätte man versucht, ihn dort zu verstecken, als Sperrmüll dort im Hof zu deponieren. Ein Messer ragte aus der Herzgegend hervor, vom Griff her zu schließen, ein großes Messer. Der Griff war auch das Einzige, was man ausmachen konnte. Ein silberfarbener Griff mit orientalischen Ornamenten aus Emaille, aufgesetzt auf ein breites Messerblatt. Blau, golden, rot und grün waren die Ornamente, und wenn man dieses Messer nicht in einem Körper gefunden hätte, der damit der damit sein Leben ließ, hätte man es als schöne Arbeit bezeichnen können. In diesem Fall jedoch schien es die Mordwaffe gewesen zu sein, was der Schönheit etwas ihren Reiz nahm.

Blut war aus der Wunde gelaufen, nicht viel, aber eine kleine Lache hatte sich um das Messer herum und auf dem Asphalt gebildet und war dort eingefroren. Die Kälte hatte es gefrieren lassen und ihm einen seltsamen Glanz und eine ungewöhnliche, rotbraune Farbe gegeben. Ein wenig Wasser von der unablässigen Feuchtigkeit befand sich als dünne Eisschicht auf dem Fleck, der nicht größer war als ein Eurostück. Wäre es nicht Blut gewesen, was man dort auf dem Boden sah, hätte man den in Frostfarben schimmernden Fleck fast als schön empfinden können.

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